Sonntag, 17. Januar 2010

kaum ist man ein paar tage weg ....

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«Muss Biel neu gebaut werden?», fragt man
sich dieser Tage, wenn Stadtpräsident Hans
Stöckli zusammen mit Stadtplaner François
Kuonen immer neue, teils überdimensionierte
Großprojekte aus dem Hut zaubert. Nach der
Überbauung des Schüssparks und des ehemaligen
Sabagareals sollen in Windeseile eine
Wohnsiedlung auf der Gurzelen und ein riesiges
Verwaltungsgebäude namens Esplanade entstehen;
das Güterbahnhofareal und das Masterplangebiet
beim Bahnhof werden als erstklassige
Expansionsgebiete in Zentrumsnähe gehandelt;
und die Idee einer Wasserstadt im Stil von
«Kleinvenedig» mit ursprünglich 2000 bis 3000
Einwohnern soll laut jüngsten Visionen stark
erweitert werden –vom Expopark bis zur Ländtestrasse
und zur Schiffländte.
Zugegeben: Die Bieler Regierung hatte in den
letzten Jahren ein geschicktes Händchen, als sie
den städtischen Landbesitz kontinuierlich ausbaute;
sie nutzte ihren Wissensvorsprung, arrondierte
die zu überbauenden Gebiete, ließ sie teils umzonen
–und erzielte schöne Buchgewinne. Wohl
keine andere Schweizer Stadt besitzt heute rund
einen Fünftel ihrer Grundfläche.
Und zugegeben: Die attraktiven, vom Stadtplaner
leicht dahin geworfenen Skizzen etwa zu
«Agglolac» bestechen durch ihren südländischen
Charme. Doch gerade bei diesem jüngsten kühnen
Wurf zeigt die noch unveröffentlichte Machbarkeitsstudie,
dass Biel seine Hausaufgaben erst
noch machen muss: Grundwasser, chemische Altlasten,
archäologische Funde und die damit verbundenen
hohen Erschliessungskosten gefährden
das Projekt.
Darüber hinaus müssten die privaten Grundeigentümer
im betroffenen Gebiet eingebunden werden
–ebenso wie wohl die umliegenden Gemeinden;
falls gemäß neusten Plänen die ganze Seebucht
umgestaltet würde, falls auch Tennisplätze und
Fischereivereine beim Nidauer Erlenwäldli verschwinden,
dann dürfte dies kaum ohne ökologische
Ausgleichsflächenmöglich sein. Dann müsste
die Stadt Biel mit den Nachbargemeinden über
Zahlungen verhandeln, zum Beispiel für Schutzgebiete
beim Hagneckkanal, wie sich dies findige
Köpfe bereits ausgedacht haben. Dabei wäre viel
Fingerspitzengefühl nötig, wie es die Bieler just bei
der Lancierung von «Agglolac» vermissen ließen.
Denn die Seegemeinden sind den dominanten
Bielern gegenüber traditionell skeptisch gestimmt.
Die Frage sei daher erlaubt: Hat man im Bieler
Blöschhaus nichts gelernt aus dem Planungs- und
Kommunikationsdebakel bei den Sportstadien,

welches eine Millionenzahlung an die Migros zur
Folge hatte und in eine Redimensionierung des
überrissenen Mantelkonzepts mündete? Warum
werkelt man erneut im Geheimen? In der Privatwirtschaft
gilt ein elementares Prinzip: Bevor man
expandiert, wird konsolidiert –und da hat die Seeländer
Metropole grossen Nachholbedarf. Zwar
werden derzeit zu recht städtische Basisinfrastrukturen
wie die Kanalisation erneuert; doch auch im
Wohnungsbau besteht Handlungsbedarf. Private
lassen historisch bedeutsame Bauten wie das
Jurahaus sowie Häuserzeilen in der Altstadt oder
an der Bahnhofstrasse verlottern; Genossenschaften,
die seit Jahrzehnten von einem tiefen Baurechtszins
der Stadt profitieren, halten vielerorts
lieber die Mieten tief, anstatt die Bausubstanz zu
erhalten –ohne dass die Stadt interveniert. Das
städtische Vorzeigeprojekt Immocheck, welches
Eigentümern aufzeigte, wie mit Sanierungen der
Wert einer Liegenschaft gesteigert werden kann,
blieb erfolglos, weil die gegen 40 Vorschläge der
Experten in den wenigsten Fällen umgesetzt
wurden.
Die Folgen sind bekannt: Ganze Aussenquartiere
in Biel und Nidau sind heute vom schleichenden
Zerfall bedroht, teils verbreiten sich Schimmel und
Ungeziefer. Diese Verslummung hat massive
Auswirkungen auf die gesamte Stadtentwicklung.
Dank äußerst tiefer Mieten sind heruntergekommene
Wohnungen speziell für bildungsferne und
finanziell schlecht gestellte Schweizer und Ausländer
attraktiv, weshalb die verbliebenen
«Normalfamilien» sich zunehmend isoliert fühlen
und aufs Land ziehen, wie Recherchen des
«Bieler Tagblatts» zeigten.
Eine gefährliche Abwärtsspirale, die kaum zu
bremsen ist, wenn weitere Wohnsiedlungen im
großen Stil erstellt werden. Diese Neubauten
könnten fraglos vermietet werden. Doch der Niedergang
der vernachlässigten Bauten dürfte sich
dadurch noch verstärken.
Ist Biel als Wohnstadt für hiesige Familien attraktiv,
solange die Sozialhilfequote sowie der Ausländeranteil
in den Volksschulen doppelt so hoch
ist wie im kantonalen Durchschnitt? Solange Biel
bei den Bundesermittlern als Zentrum für den
Kokainhandel und für radikale Muslime gilt? Solange
die Steuern überdurchschnittlich hoch sind
und Studien der Spitäler belegen, dass die Jugendgewalt
massiv zunimmt? Derartige Fragen
sind in Biel bisher weitgehend tabuisiert. Doch sie
sind entscheidend für die Zukunft der ganzen Region.
Nicht nur Stadtpräsident Stöckli sollte sich
jetzt prioritär mit diesen aktuellen Fragestellungen
befassen, auch Pierre-Yves Moeschler, der zu

ständige Gemeinderat mit den Schlüsseldossiers
Bildung und Soziales, muss aktiv werden, anstatt
die Probleme als «städte-typisch» zu banalisieren.
Er ist in den letzten Jahren durch weitgehende
Absenz im öffentlichen Diskurs aufgefallen.
Natürlich braucht es Mut, diese heiklen Probleme
anzupacken, das haben auch Medienschaffende
festgestellt, als sie bei Recherchen immer wieder
auf Granit bissen. Und natürlich ist es viel anspruchsvoller,
die echten sozialen Probleme der
Stadt Biel zu lösen, als spektakuläre neue Stadtquartiere
zu entwerfen.
Doch die Schmerzgrenze ist erreicht.
Taten sind überfällig.

Nein, Biel ist nicht gebaut. Und Biel muss auch
nicht neu gebaut werden.
Aber Biel hat derzeit allzu viele Baustellen im
Bildungs-und Sozialbereich.


Anstelle großer Visionen ist jetzt Knochenarbeit
gefragt.




...und wer visionen hat, der sollte zum arzt...(sig)

(alle texte quelle Bieler-Tagblatt)










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