Freitag, 15. Oktober 2010

ein lichtblick


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Von Wolf Schneider NZZ FOLIO 07/97

Sprachlese

Vom Christinnen- und Christentum



JA, DIE FRAUEN werden in der Sprache benachteiligt. Ja, die patriarchalische Gesinnung unserer Ahnen ist in unserem Wortschatz tief verwurzelt. Ja, die feministische Bewegung tat recht daran, dafür zu plädieren, dass wir uns um mehr sprachliche Symmetrie bemühen und das weibliche Geschlecht überall sichtbar oder hörbar machen sollten. Aber nun ist es genug.
Es wird nämlich offenkundig, dass die gesamte Sprachgemeinschaft für das legitime Bestreben der Frauen einen Preis zu zahlen hat, und es muss erlaubt sein, im Licht der Erfahrung diesen Preis zu hoch zu finden. Der Preis besteht darin, dass der entschlossene Feminismus die Sprache umständlich und bürokratisch macht bis an den Rand der unfreiwilligen Komik - und dass die letzte Konsequenz trotzdem nicht erreichbar ist.
Gut, da treffen sich also in Zürich «Rosenfreundinnen und Rosenfreunde», und in Basel haben sich «Fasnächtlerinnen und Fasnächtler» amüsiert. Das mag angehen. Aber ist die Grenze zur Lächerlichkeit nicht überschritten, wenn die «Berner Zeitung» schreibt, «vierzehn Bolligerinnen und Bolliger» hätten Vorschläge zur Verschönerung ihres Dorfes gemacht? Wollen wir wirklich von Finninnen und Finnen lesen, von Bosniakinnen und Bosniaken, von Pfäffikonerinnen und Pfäffikonern, zumal wenn sie auf Niderbipperinnen und Niderbipper treffen?
Und wer soll noch einen Text ertragen wie den eines österreichischen Gesetzesentwurfs von 1996: «Der Studiendekan/die Studiendekanin hat den/die Universitäts/Hochschullehrer/in, der/die den/die Verfasser/in einer Dissertation betreut hat, jedenfalls zu einem/r Beurteiler/in zu bestellen.»
Oder den eines Antrags der Grünen im Hessischen Landtag: «Sind die Schulleiterin oder der Schulleiter, ihre planmässige Vertreterin oder ihr planmässiger Vertreter oder seine planmässige Vertreterin oder sein planmässiger Vertreter und Abwesenheitsvertreterin oder der Abwesenheitsvertreter der planmässigen Vertreterin oder des planmässigen Vertreters gleichzeitig länger als drei Tage abwesend, so ist die Schulaufsichtsbehörde . . .»
Was ist das: Botokudisch? Oder der Einzug der Logarithmentafel in die deutsche Stilistik? Ist das ernst gemeint ohne Witterung dafür, dass man sich damit dem Gespött aussetzt? Oder wäre es eine Karikatur von Macho-Hand, um den Feminismus durch Albernheit zu töten?
Was immer die Motive - das Resultat sind Sätze, die keiner sprechen kann und keiner lesen mag. Wer dem Sprachgebrauch kein Schlupfloch lassen will, wird die Sprache ersticken. Es ist nicht möglich, ihren patriarchalischen Ursprung aus ihr herauszuoperieren, ohne sie selber dabei umzubringen.
Wie weit wollen wir denn gehen? Sollen sich die Frauen den Führerschein noch länger gefallen lassen und die Männer den Sündenbock, den Hanswurst und den Hampelmann? Führerinnenschein auch für Hampelfrauen und Sündenziegen, das wär's doch! Ist der Bürgermeister nicht zugleich ein Bürgerinnenmeister und die Meisterschaft nicht oft eine Meisterinnenschaft? Sitzen nicht auch Nichtraucherinnen im Nichtraucherabteil? Müsste das Schild nicht lauten «Vor Taschendiebinnen und Taschendieben wird gewarnt»? Und wie verzeihen wir es der Weltgeschichte, dass sie 1789 zusammen mit der Freiheit und der Gleichheit die Brüderlichkeit auf den Schild hob - weiblichen Geschlechts zwar, aber doch unter provokanter Ignorierung der Schwesterlichkeit (sprachliche Symmetrie) oder der Geschwisterlichkeit (Geschlechtsneutralität)?
Selbst nach dem totalen Umpflügen der Sprache würden Wörter übrigbleiben, an denen der Feminismus zerschellt: die Geisel, auch wenn sie ein Mann, der Gast, auch wenn er eine Frau ist (denn «Gästin» sagen nur die Verbohrtesten). Noch nie hat das sprachliche Geschlecht mit dem biologischen übereingestimmt. Schon «das Weib» ist ein Skandal, die Eselsmilch natürlich ebenso. Was wäre weiblich an der Rhone und männlich am Rhein? Haben die Vögel drei Geschlechter, weil wir der Spatz, die Amsel und das Rotkehlchen sagen? Macht es uns Probleme, unter den Katzen auch die Kater zu verstehen? Oder glaubt irgend jemand, in der Einwohnerstatistik wären die Frauen nicht mitgezählt?
Liebe Feministinnen und Feministen: Ihr habt den Bogen überspannt. Noch zwei oder drei pressure groups, die mit ähnlicher Besessenheit an der Sprache fummeln, und sie ist zur Verständigung nicht mehr geeignet, geschweige denn zur Literatur. Liebe Anwälte und Anwältinnen des geschlechtsneutralen Sprachgebrauchs in Behörden, Verbänden, Redaktionen: Die Beflissenheit, mit der ihr die Bolligerinnen ins Feld führt, streift manchmal das Peinliche. Die Bolliger haben nicht darauf gewartet und am Ende nicht einmal die Bolligerinnen.
Etwas mehr Gelassenheit würde uns gut tun, und Augenmass ist nie ein Fehler. Die Sprache wird die Frauen nicht retten; lassen wir's doch nicht so weit kommen, dass wir die Sprache vor den Frauen retten müssen. Gleiche Chancen für Frauen, für gleiche Arbeit gleicher Lohn: Dafür lohnt sich zu kämpfen. Das ist das Feld, auf dem die Liebe zum/zur Nächsten sich bewähren kann und mit ihr das Christinnen- und Christentum.


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