.
.
.
.
spiegel artikel über anonymität im net.
Klarnamenzwang im Web
Frau Fake verteidigt die Pseudonyme
Von Konrad Lischka
Liest man die das Google-Netzwerks Google+, entsteht leicht der Eindruck, dass Pseudonyme im Web merkwürdig, ja vielleicht anstößig sind. Der Absatz mit Richtlinien zur Wahl des "angezeigten Namens" kommt gleich nach den Ausführungen zu "eindeutig sexuellem Material", "Mobbing" und "Identitätsdiebstahl".
Diese Sichtweise auf Pseudonyme im Web wird langsam Normalität: Facebook verlangt Klarnamen, deutsche Politiker fordern ein "Vermummungsverbot" im Web, Polizeifunktionäre drängen auf einen "verlässlichen Identitätsnachweis im Netz" und so weiter. In der Diskussion um Identität im Netz tauchen Pseudonyme mehr und mehr in einem negativen Kontext auf.
"Pseudonyme an sich sind nicht schädlich"
Blog- und Forenbetreiber, die ihr Kommentarsystem an Facebook ausgelagert haben, loben, dass die Qualität seitdem höher, der Spinneranteil erheblich kleiner ist. Letzteres stimmt auch meist. Doch die implizierte Schlussfolgerung ist gefährlich: Pseudonyme seien etwas für Spinner, Spammer und Faker. Diesen gedanklichen Kurzschluss nimmt Caterina Fake, die Mitgründerin der Online-Fotoplattform Flickr, in einem Kommentar auseinander. "Pseudonyme an sich sind nicht schädlich", meint Fake. Zwar könne man die Pseudonyme für "anonyme Verleumdungen und Troll-Kommentare" nutzen. "Aber in der Mehrheit der Fälle schaden sie nicht." Stattdessen könnten sie auch "gefährdete Personengruppen schützen".
Fakes zentrales Argument ist, dass beim Klarnamenzwang, wie ihn Google+ und Facebook auf ihren Inseln im Web praktizieren und manche CDU-Politiker fürs ganze Netz verlangen, die Nachteile größer sind als die Vorteile.
Vielen Menschen ermöglichen Pseudonyme erst eine wirklich freie Nutzung des Web: Wer in autoritär beherrschten Staaten lebt, begibt sich in Gefahr, wenn er im Netz unter Klarnamen über Politik diskutiert, selbst wenn er einen Internetzugang nutzt, der nicht zu seiner Person zurückverfolgt werden kann.
Nur wenige Menschen werden über ihre Sexualität, Krankheiten, Behinderungen oder vom Mainstream abweichende politische Ansichten in einem Forum mit Klarnamenzwang wie Google+ und Facebook diskutieren. Bei Wikia haben Nutzer eine Übersicht der Opfer des Klarnamenzwangs gesammelt - liest man diese Aufzählung durch, wird einem klar, wie beschränkt die eigene Sicht auf die Nutzung solcher Netzwerke ist, wie leicht man die Lebensumstände anderer Menschen ausblendet.
Bei "World of Warcraft" spielen wir eine andere Rolle als im Büro
Abgesehen von großen Allerweltsdiensten wie Facebook, Google+ und Twitter gibt es auch noch einige thematisch definierte Online-Gemeinschaften, bei denen ein Klarnamenzwang weit weniger nötig ist. Einer der erfolgreichsten Betreiber von Online-Rollenspielen zum Beispiel, das US-Unternehmen Blizzard, wollte Mitte 2010 einen Klarnamenzwang in den Foren des Online-Rollenspiels "World of Warcraft" einführen .
Nach der Ankündigung brach ein Sturm der Empörung los. Einige Spieler äußerten die Sorge, Bekannte aus einem anderen Kontext (Arbeit, Vereine) könnten sie per Web-Recherche so schnell als Online-Rollenspieler identifizieren. Der WoW-Betreiber verzichtete dann auf die Klarnamen-Einführung.
Das Beispiel veranschaulicht den Kern des Identitätsproblems sehr gut. Menschen trennen verschiedene Bereiche ihres Lebens: Beruf, Freizeit, Engagement in Organisationen und Interessengruppen - man ist nicht immer derselbe. Im Web ist das ähnlich, deshalb gibt es ja besondere soziale Netzwerke, die auf die berufliche Nutzung zugeschnitten sind wie Xing oder Linkedin. Es muss Nutzern freistehen, in solchen Netzen eine andere Online-Identität zu verwenden als zum Beispiel im Forum einer Selbsthilfegruppe für Essgestörte oder einem Verein, der historische Schlachten nachspielt.
Identitäten an Pseudonyme binden
Ist der Zwang zur Verwendung der richtigen Namen wirklich der einzige Weg, um die Debattenkultur in Foren zu heben, Identitätsdiebe und Spammer zu bekämpfen? Fake argumentiert, dass man derartigem anti-sozialen Verhalten auch mit anderen Maßnahmen beikommen kann: Starke Moderation oder Software, die Pseudonyme nach den Reaktionen auf ihre Beträge bewertet. Es gibt auch Mischformen: Amazon zum Beispiel erlaubt Rezensionen unter Pseudonym, allerdings nur, wenn das Unternehmen die Lieferadresse des betreffenden Kunden kennt - veröffentlicht wird diese nicht. Die meisten Nutzer verwenden ihr Pseudonym kontinuierlich - ihr Online-Verhalten und damit ihre Online-Identität sind eindeutig an dieses Pseudonym geknüpft.
Diese Aufzählung lässt sich noch um einige andere Beispiele erweitern. Ein Vorteil des Klarnamenzwangs ist die leichte Auffindbarkeit von Personen. Aber auch da gibt es andere Lösungen. Von Menschen, mit denen man in Kontakt ist, hat man in der Regel die E-Mail-Adresse - man kann einfach fragen. Das bedeutet mehr Aufwand, doch der Betreffende - der aus welchen Gründen auch immer ein Pseudonym nutzt - kann entscheiden, wer das seiner wahren Identität zuordnen kann.
Twitter bietet geprüfte Klarnamen als Option
Diese Wahlfreiheit schränken Dienste mit Klarnamenzwang ein. Es geht ja nicht darum, dass alle Menschen unter Pseudonym auftreten müssen. Es geht darum, dass diejenigen, die das wollen, nicht ausgeschlossen werden. Twitter zum Beispiel hat dieses Problem elegant gelöst: Hier ist der Klarname eine Option und der von Twitter geprüfte Klarname ein begehrtes Feature.
Die Frage ist: Sollten Online-Riesen wie Facebook und Google+ Minderheiten mit derselben Ignoranz begegnen wie die meisten Nutzer, die nicht so sehr auf Pseudonyme angewiesen sind, um das Web ohne Angst vor Repressalien, Pöbeleien und anderem Unbill nutzen zu können? Sollte man Themen, die vielleicht nur kleine Gruppen so intensiv beschäftigen, in Allerweltsforen wie Facebook und Google+ per Klarnamenzwang klein halten?
Caterina Fake hat darauf eine klare Antwort: Nein. Um die Spinner, Spammer und Idioten zu bekämpfen, darf man nicht die Wahlfreiheit aller Menschen einschränken, die Nutzung von Pseudonymen verbieten und somit bestimmte Nutzer systematisch abschrecken.
.
.
.
.